Mein Artikel „Das Leben in Australien wird immer teurer“ hat anscheinend einige Gemüter erhitzt. In den Kommentaren geht es letztendlich nicht mehr wirklich um die hohen Lebenshaltungskosten, sondern eher allgemein um den Preis, den man gewillt ist zu zahlen um in Australien leben zu dürfen. Ich erhalte jede Woche mindestens ca. 5 E-Mails von Leuten, die in Australien Urlaub gemacht haben und nun einen Weg suchen, sich hier niederlassen zu können. Viele scheinen sich diese Überlegungen etwas blauäugig zu machen. Daher hier meine ganz persönliche Liste an Australien-Facts, über die sich jeder Auswanderer-Kandidat Gedanken machen sollte.
1) Australien wird in Deutschland falsch dargestellt
Jedes mal, wenn ich in Deutschland bin oder auch von hier aus Artikel oder TV-Beiträge im Internet verfolge, wird mir klar, dass die deutschen Medien (wie bei so vielen Dingen) total an den Tatsachen vorbeiberichten und das zeigen, was sich gut verkauft. Nicht nur lächerliche RTL Dschungel-Shows zeigen Australien in einem falschen Licht. Auch Reportagen, Auswanderer-Sendungen und Tierdokus bewerben Australien als Abenteuerland der unendlichen Freiheit. Jeder surft vor dem Frühstück, alle sind freundlich und gearbeitet wird sowieso nicht so viel. Das Outback befindet sich im Garten eines jeden Hauses und die Wirtschaft, die Einwanderungspolitik und die Umwelt – alles ist im Lot. (Ich habe mich über diese Stereotypen bereits beschwert)
Ja, es stimmt schon, dass die Dinge in Australien etwas lockerer gehandhabt werden, aber nicht so wie in den deutschen Medien dargestellt. Es gibt auch hier einen Alltag; es gibt auch hier wirtschaftliche Probleme, Kriminalität, Ausländerhass und Umweltverschmutzung. Die Australier sind freundlich, werden aber oft auch als oberflächlich empfunden. Das Haus am Strand mit paradiesischer Aussicht gibt es schon, aber ist in Wirklichkeit unbezahlbar.
2) Urlaub ist Urlaub
Egal, ob ihr für 2 Wochen, 3 Monate oder 1 Jahr nach Australien kommt, in den meisten Fällen seid ihr in Urlaubsstimmung. Das heisst, dass ihr die Sehenswürdigkeiten des Landes als Tourist bereist. Mit etwas Glück habt ihr gutes Wetter und besichtigt beindruckende Naturschauspiele. Die wenigen Australier, die ihr trifft sind freundlich und zuvorkommend. Ihr seid beeindruckt von den australischen Städten, dem lockeren Lebensstil, der Weite des Landes und von all dem was „anders“ ist.
Viele scheinen aber zu vergessen, dass Urlaub und Auswandern zwei verschiedene paar Schuhe sind. Wenn man erst mal die Urlaubsbrille abgelegt hat und feststellt, dass bei einer Wohnungsbesichtigung 30 andere Leute um den Mietvertrag kämpfen, dass bei einem Arztbesuch zuerst nach der Kreditkarte anstatt nach dem Wohlbefinden gefragt wird und dass ein Studium locker $60.000 kosten kann, der kommt schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Jeder Auswanderer-Kandidat sollte sich dessen bewusst sein und versuchen so viel wie möglich über das Alltagsleben in Australien herauszufinden, bevor man sich falsche Vorstellungen basierend auf einem Traumurlaub macht.
3) Ja, es gibt einen Kulturschock
Wer an das Wort Kulturschock denkt, der denkt an Afrika, Asien oder andere Ecken der Erde, die wenig mit der westlichen Welt zu tun haben, richtig? Genau! Ob ihr es glaubt oder nicht, auch in Australien werdet ihr einen Kulturschock erleben. Hier erfährt man diesen allerdings nicht innerhalb weniger Tage oder gar Wochen. Ich bin fast schon 7 Jahre in Australien und immer noch fallen mir nach und nach kulturelle Unterschiede auf, die man auf den ersten Blick nicht erwartet hätte.
„Ist doch logisch, es ist ein anderes Land!“ werden jetzt viele von euch denken. Ja, klar, es gibt Unterschiede, schliesslich ist es nicht Deutschland. Allerdings scheinen viele Auswanderer zu glauben, dass sie einfacher mit der Sprache, dem Lebensstil, den Leuten und dem Wetter zurecht kommen, als dies letztendlich der Fall ist.
Dies liegt auch nicht unbedingt an der individuellen Persönlichkeit. Deutsche haben (wie jede Nationalität) eben so ihre Eigenheiten, Werte und Ideale. Ideale wie Pünktlichkeit und Ordnung und extrem kritisches Denken passen sich nicht einfach von heute auf morgen an die neue Situation an. Nicht selten werde ich daran erinnert, dass mein realistisches, kritisches Denken als Deutscher hier in Australien oft als negativ empfunden wird. Deutsche sind bekannt für’s „Rumjammern“. In Australien wird man damit aber nicht weit kommen, denn Leute die sich andauernd beschweren, werden als negative Whiner abgestraft und teilweise sogar sozial ausgegrenzt. Wer sich z.B. mehrmals über das fehlende Umweltbewusstsein oder die junge Geschichte Australiens beschwert, trifft schnell auf eine Wand.
Ich wage zu behaupten, dass 90% der deutschen Auswanderer eine Phase durchlaufen, in der sie die vielen gewohnten „guten Dinge“ in Deutschland vermissen und Australien dafür weniger genießen. Das fängt beim Brot an und hört bei den Ladenöffnungszeiten auf. 😉
4) Auswandern ist teuer und nicht mehr so einfach wie früher.
Die meisten E-Mails, die ich über Australien-Blogger erhalte, sind Fragen dazu, wie man in Australien längerfristig arbeiten und leben kann. In der Regel fangen die E-Mails so an: „Ich habe gelesen, dass in Australien (Jobtitel) gesucht werden. Wie bekomme ich ein Arbeitsvisum? Ich möchte endlich aus Deutschland weg und mein Leben genießen. Blablabla…“
Meine Standardantwort lautet dann meist: „Bitte lies dir zuerst diesen Artikel zum Auswandern durch.“
Ich möchte hier noch einmal betonen, dass das Auswandern nicht mehr so einfach ist, wie noch vor einigen Jahren. Auch wenn man einen guten Job und eine Menge Erfahrung in seinem Beruf hat, gibt es extrem strenge Einwanderungsregeln mit jeder Menge Bürokratie im Nacken. Nur in Ausnahmefällen klappt das mit dem Antrag auf Permanent Residence oder ein Arbeitsvisum ohne Hilfe durch einen Anwalt/Migration Agent. Die notwendige Vorbereitung ist oft genauso langwierig, wie die Bearbeitung des Antrags durch das Immigration Department. Die Kosten für Anträge, Bescheinigungen, Gesundheitstest, Anwälte und letztendlich dem Umzug selbst können je nach Familienstand locker irgendwo zwischen 5.000 bis 10.000 Euro liegen, manchmal noch mehr.
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Ich bin mir bewusst, dass all dies sehr negativ klingt. Ich möchte Australien in keinster Weise irgendwie schlecht machen. Meine Absicht mit diesem Beitrag ist es hauptsächlich eine Referenz zu bieten fuer all die blauäugigen E-Mails, die ich ständig erhalte.
An anderen Meinungen von Deutschen, die in Australien wohnen, bin ich sehr interessiert! 🙂
Tipp: Im Artikel Australien vs Deutschland: Der Vergleich anhand harter Fakten findest du einen ausführlichen Vergleich beider Länder anhand von 6 Faktoren und jede Menge Zahlen.
Ansgar Harmeier schrieb am 07.01.2011:
Ich bin zwar erst knapp 1 Jahr in Melbourne, studiere und arbeite hier, aber kann dir voll und ganz zustimmen.
Danke fuer den Artikel.