Es amuesiert/nervt mich jedesmal, wenn ich in den Massenmedien Artikel oder Reportagen finde, die auf eine sehr deutsche Weise versuchen den „Aussie way of life“ zu erklaeren. In 9 von 10 Faellen werden bereits bestehende Klischees und Vorstellungen, die jeder Deutsche von Australien hat, gestaerkt und die Fakten so verdreht, dass die Vorstellung von Australien als DAS verrueckte und entspannte Traumland nicht angestastet wird. Selten kommt es vor, dass man auch mal negative Seiten erwaehnt oder einfach mal den Alltag in Australien so zeigt wie er wirklich ist – nicht so viel anders ist als in Deutschland.
Mit entsprechender Einstellung habe ich dann den Artikel „Kulturschock-Australien“ auf Fokus online gelesen. Und schon ab der 2. Seite wurden meine Erwartungen erfuellt. Hier ein paar Auszuege und meine Meinung dazu:
Mit Höflichkeitsfloskeln hält sich der Australier nicht lange auf. Für den Fremden mag das oft ein wenig grob und rüde wirken, wenn er ab dem ersten Augenblick mit Vornamen und dem obligatorischen Du angesprochen wird, natürlich ohne Titel und andere Ehrerweisungen.
Mmh.. in der Tat ist es hier ueblich mit dem Vornamen angesprochen zu werden, aber ob das als grob und ruede rueberkommt? Ich weiss nicht… Wenn man mal die Australier fragt, sind es die Deutschen, die als unfreundlich rueberkommen, denn auf die Frage „How are you going?“ antworten die meisten deutschen Touristen garnicht und kommen im Geschaeft direkt auf den Punkt „I want a coffee!“ Der Begruessungssmalltalk mag vielleicht laestig sein, aber in meinem Augen macht es das Kennenlernen wesentlich angenehmer und freundlicher.
Beim Zahlen, auch im Restaurant, kommt deutsche Höflichkeit wie “die Rechnung geht auf mich“ gar nicht gut. Im Gegenteil, es wird als Überlegenheitsgetue missbilligt. Das Procedere à la fünfter Kontinent funktioniert so: Die Rechnung wird unter allen gerecht aufgeteilt.
Das hoert sich so an, als wuerde man immer jede Rechnung aufteilen. Das ist natuerlich Schwachsinn. Ich weiss garnicht wie oft ich schon eine Runde Kaffees ausgegeben habe. Die Regel ist eigentlich die gleiche wie in Deutschland. Wenn man die Rechnung zahlen moechte, kann man das ohne Probleme tun. Die Rechnung „splitten“ ist meist auch moglich, ausser an der Kasse klebt ein Hinweis „Sorry, no split bills!“
Pünktlichkeit. Darauf legen die Aussies nicht nur im geschäftlichen Bereich großen Wert. Niemand sollte glauben, dass es am anderen Ende der Welt keine Uhren gibt. Sie ticken in diesem Fall nicht anders, sondern atomuhrgenau.
Also meine Erfahrungen sind da genau umgekehrt. Ich bin bei geschaeftlichen als auch bei (so ziemlich allen) privaten Verabredungen immer der Erste. Fast alle meine Freunde nehmen’s nicht so genau was die Uhrzeit angeht. Gerade erst gestern war ich im Park zum Fussballspielen um 3pm verabredet. Um 4pm waren dann genug Leute da um 2 ordentliche Teams zu bilden. 😉
Dinner-Party. Zu dieser Einladung muss der Gast eine Flasche Wein mitbringen. Und zwar nicht irgendeine, wie einen billigen australischen Jacobs Creek, das käme einer Beleidigung gleich. Sondern einen möglichst teuren Tropfen.
Woher kommt denn dieses Statement? Ich habe noch nie mehr als $15-20 fuer eine Flasche Wein ausgegben und wurde noch nie aus einer Dinnerparty rausgeworfen?! Im Gegenteil, die meisten Leute, die ich kenne, finden den Preis nicht ausschlaggebend, sondern testen gerne die verschiedenen Weine in der unteren Preiskategorie – immer in der Hoffnung einen guenstigen aber guten „Standard-Wein“ fuer alle Gelegenheiten zu finden.
Beim Essen lösen sich die kulturellen Zwänge auf. Schließlich geht es dem Aussie nicht darum, wie man eine Gabel vornehm in der Hand hält und wer als Erster am Tisch bedient wird, Klassendenken ist ihm ja fremd. In der Praxis sieht das dann so aus: Während die eine Hand (bitte mit Besteck) isst, wird die andere Hand auf dem Schoß abgelegt.
Klar! Und man darf nur ein Bein auf dem Boden haben. Mit dem anderen muss man versuchen dem Tischnachbar hinter dem rechten Ohr zu kratzen. Also wirklich…?!?!?
Mit seinen Händen sollte der Nicht-Australier in der Öffentlichkeit besser vorsichtig umgehen. […] Unwissend, dass dieses V aus Zeige- und Mittelfinger dem Stinkefinger entspricht.Damit nicht genug. Als beleidigende Geste gilt auch der Tramperdaumen, der in Down Under so viel bedeutet wie der unflätige Ausspruch „verpiss´dich“.
Aehm, davon habe ich noch nie gehoert?!?! Das V-Zeichen wird hier genauso verwendet wie in Deutschland und wer den allseitsbekannte Tramperdaumen nicht versteht oder gar als „verpiss‘ dich“ interpretiert, der gehoert zu einem minderbemittelten Teil der Bevoelkerung, mit dem man sowieso nicht in einem Auto reisen moechte.
Aber auch ungiftige, ja putzige Tierchen, wie der allseits geliebte Koalabär, können dauerhafte Spuren beim Fremden hinterlassen. Seien es Läuse, die zu Myriaden durch und aus dem weichen Koalapelz springen. Oder die Krallen des süßen Eukalyptusfressers, die schon hässliche Narben und blaue Augen in erstaunten Gesichtern hinterlassen haben.
Ich kann’s echt nicht mehr hoeren. Ja, in Australien leben viele gefaehrliche Tiere. Nein, ich war noch NIE irgendeiner echten Gefahr ausgesetzt und die Chance, dass du mit diesen Tieren in Kontakt kommst und dabei lebensgefaehrlich verletzt wirst, ist ungefaehr so gross wie in Deutschland von einer durchgeknallten Wildsau ueberrannt zu werden. Aber nun auch den Koala-Baer, den tagtaeglich ungefaehr 3 Millionen Touristen zum Foto-Shoot auf dem Arm halten, zur zerfleischenden Bestie zu machen, schafft ein ganz neuer Level der Angstmacherei und ueberragt die schlimmsten Klischees der australischen Fauna. 🙁
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Abschliessend bleibt zu sagen: nichts Gutes. Der Artikel ist wie 90% der Reportagen zu Australien gefuellt mit Klischees und Stereotypen, die man in Australien einfach nicht findet. Oft frage ich mich, wie lange diese Journalisten wirklich im Land waren. Oder ob ueberhaupt.
Ich weiss garnicht mehr, wie oft ich schon von Bekannten und Freunden aus Deutschland ueber deren Angst vor den giftigen Tieren in Australien gehoert habe. Dies ist das beste Beispiel dafuer, dass die Medien in Deutschland Australien lieber als surreale Traumvorstellung verkaufen und die Idee des fernen, steltsamen Kontinenten pflegen, als offen zuzugeben, dass das Leben, besonders in den urbanen Gegenden garnicht so viel anders ist, als in Deutschland.
Und was sagt uns das? Die Deutschen sehnen sich anscheinend nach einem Land, das „seltsam, gefaehrlich und anders“ ist. Der „Nervenkitzel“ verkauft sich gut und ist wohl Grund dafuer, dass Australien weiterhin eines der beliebtesten Reiseziele ist. Es ist schade, dass man so selten Informationen ueber Australien findet, die nicht mit Klischees ueberfuellt sind und dem Leser/Zuschauer die Freiheit laesst, sich ein eigenes Bild von Land und Leute zu machen.
Manche werden nun sagen „Ok, das ist der Fokus und man erwartet keine bessere Qualitaet.“ Leider habe ich solche und aehnliche Artikel aber auch schon auf den Seiten von ARD und ZDF gelesen. Wer will schon zugeben, dass die Vorurteile nicht erfuellt werden???
Marcus schrieb am 11.08.2009:
classic!